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Ich bin ein Team - die Kraft der inneren Familie

Wie wir unsere inneren Persönlichkeitsanteile annehmen und stärken oder „Schau mal, wer da spricht..“

 

Ich wäre so gerne eine souveräne, liebevolle, gelassene und begehrenswerte Frau. Bisweilen gelingt mir das auch, in seltenen Fällen sogar in Kombination. Aber dann ruft mein Steuerberater an und mahnt mit strenger Stimme die späte Abgabe der Unterlagen an – und ich verwandle mich in Sekunden zurück in ein unsicheres Mädchen, das seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, leider eine Erinnerung, die mir äußerst vertraut ist. Anstatt Frau der Lage zu sein, fühle ich mich plötzlich zittrig, stottere, habe Herzklopfen, feuchte Hände und ein sehr mulmiges Gefühl in meiner Magengrube. Eine unangemessene  Reaktion? Bestimmt. Aber eine, die mein Gehirn frühzeitig gespeichert hat und die es nun immer abruft, wenn die Situation hinreichend ähnlich ist wie damals in der Schule.

Wir sind viele, und die vielen unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile ergeben wie die Facetten eines Mosaiks erst als Ganzes unser vollständiges Bild. Ein Bild, das wie die Pixel auf einem Bildschirm immer in Bewegung ist, denn je nach Situation melden sich völlig unterschiedliche Persönlichkeitsanteile zu Wort und das kann ebenso hilfreich wie frustrierend erscheinen.  „Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust.“, klagte Goethes Faust über seine innere Zerrissenheit.  Die  Idee ist nicht neu, bereits Plato entwarf das Bild des Menschen, der voller Sehnsucht nach seiner verlorenen Hälfte sich seelisch erst vollständig fühlt, wenn er weibliche und männliche Anteile integriert. In den letzten Jahrzehnten wurde die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen vor allem in der Psychotherapie immer weiter ausdifferenziert.  Während Sigmund Freud noch von drei Instanzen ausging, die er einteilte in das triebhafte „Es“, das bewusste „Ich“ und das kontrollierende „Über-Ich“  sprechen manche Systemische Therapeuten heute davon, dass wir nicht nur ein inneres Kind in uns tragen, sondern einen ganzen Kindergarten.

Ich mache in meiner Praxis dagegen immer wieder die Erfahrung, dass die Klientinnen sich als eine einheitliche Persönlichkeit sehen.  In Situationen, wo sie sich als unzulänglich empfinden, wo sie Angst haben oder ausrasten, höre ich oft ein leise resigniertes  „So bin ich eben…“. Oh nein, so sind sie nicht, so ist lediglich ein Teil von ihnen, der es irgendwann einmal im Leben als sinnvoll erlebt hat, so zu reagieren.

Wir haben uns gesellschaftlich eine Wirklichkeit erfunden, die unseren Seelen offensichtlich nicht sonderlich gut bekommt. Dazu zählt die Illusion, jedem auch noch so absurden Leistungsanspruch genügen zu können, wenn wir uns nur genug anstrengen und zudem unser Handeln rational steuern zu können. Aber dieser verständliche Wunsch ist auch eine Illusion, besonders wenn es sich um emotionale Belastungssituationen handelt. Unser Gehirn schaltet in diesem Fall seine evolutionsbiologisch jüngeren Teile, die Großhirnrinde, ab und aus ist es mit den rationalen Handlungsmöglichkeiten.  In Stresssituationen übernimmt stattdessen der uralte Teil unseres Gehirns die Regie, das limbische Gehirn. Dieses Reptiliengehirn ist absolut nicht sprachbegabt – es entstand vor der menschlichen Sprachentwicklung – aber dafür sehr emotional und sinnlich. Es versteht Gerüche, Symbole, Bilder, Atmung und Körperhaltung. Daher ist es hilfreich, die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen so sinnlich und bildreich wie möglich zu gestalten.

Oftmals ist bereits die Erkenntnis, dass nur Teile der eigenen Persönlichkeit und auch nur in ganz bestimmten Situation emotional vermeintlich unangemessen reagieren, schon eine große Erleichterung. Die Überzeugung, dass da ja noch viele andere sind und hilfreich zur Seite stehen, wenn es  eng wird, macht Mut und handlungsfähig. Wenn herausgefunden wird, wie der abgelehnte Persönlichkeitsanteil aussieht,  wie alt sie/er ist, wie er heißt, fällt die Familienzusammenführung leichter. Denn oft  würden wir sehr gerne diese hässlichen, unkontrollierbaren, schwächlichen Anteile in uns einfach abschaffen oder wegrationalisieren. Doch auch das ist eine Illusion – Familie ist eben Familie. Die Abspaltung dieser ungeliebten Anteile kostet viel Energie und ist so anstrengend wie fruchtlos. Je mehr wir diese inneren Schatten zu verleugnen versuchen, desto öfter werden sie sich zu Wort melden, um Gehör zu finden und mit am Tisch sitzen zu dürfen. Was wir im Inneren nicht erlösen, drängt sich uns stattdessen im Außen auf.  Es ist einfacher, der inneren Sadistin mit ihrem „Guck mal, die kriegen das alle hin, nur du bist zu dämlich dazu“, ein Gesicht, eine  Stimme und einen Platz an der inneren Tafelrunde einzuräumen und ihr von Zeit zu Zeit Gehör zu schenken – wohl wissend, dass unsere innere Löwin einfach alles hinkriegt, woran ihr Herz hängt.

Die Bewusstwerdung über die eher kritischen Teilpersönlichkeiten und die Situationen, in denen sie ihren Auftritt haben, ist ein Teil der Arbeit . Der andere ist das Herausarbeiten der wertschätzenden und stärkenden inneren Anteile. Wir Frauen beispielsweise  tragen alle unsere alte Weise in uns, die uns ihren Rat schenkt, wenn wir sie darum bitten. Eine einfache Übung lässt sich gut zuhause praktizieren: Sie setzen sich auf einen Stuhl und stellen einen Stuhl gegenüber. Nun widmen Sie sich einem aktuellen Problem, das Sie beschäftigt. Lassen Sie sich in Ihre Problemtrance fallen und schauen Sie, ohne verändern zu wollen: Wie ist Ihre Atmung, welche Stimmen sprechen in Ihnen und was sagen die? Wie alt sind die Stimmen, kennen Sie die von früher? Wie fühlt sich Ihr Körper an? Jetzt wechseln Sie den Platz und setzen sich auf den anderen Stuhl. Nun atmen Sie tief ein und aus und nehmen Kontakt auf zu der uralten Kraft in Ihnen, zu der weisen Frau, zur Frau Holle, die da sitzt und in ihrem brodelnden Kessel rührt, wo alles seinen Platz haben darf, das Schöne und das Hässliche, das Alte und das Neue und wo alles schon erlebt und erlöst wurde. Und nun lassen Sie sie sprechen oder auch einen Brief schreiben und nehmen dankbar ihren Rat entgegen, der Sie stärkt und begleitet – auf allen zukünftigen Wegen. Nehmen wir unsere Teile an, die dunklen und die hellen, und ehren unsere Lebendigkeit - als Mütter, Diven, folgsame Töchter,  Bäuerinnen,  Managerinnen,  Feiglinge, alte Weise, kleine Mädchen, Antreiberinnen, Wolfsfrauen, Geliebte, Lügnerinnen, beste Freundinnen, Adlerinnen und so wundervoll viele mehr.

 

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